Es gibt ein Wort, das bei uns bei weitem nicht so häufig verwendet wird, wie in Australien. Täglich hört man die Aussies sagen, irgendjemand anderer sei ein »hypocrite« oder man beschwert sich über die »hypocritical« Medienlandschaft und die immer schlimmer werdende »hypocrisy« in der Politik. Aber was heißt das nun genau? Die deutsche Übersetzung dafür lautet »Heuchler« oder »Scheinheiliger«. Die Australier erklären das so: Ein Heuchler ist jemand, der etwas predigt, zu dem er selber nicht steht. Oder jemand, der ständig seine Meinung ändert und widersprüchlich handelt. So ähnlich wie ein Lügner halt.
Manche Aussies beklagen sich darüber, dass die australische Gesellschaft nur aus Heuchlern und Lügner bestehen würde und die Politik einem dasselbige vorlebt. Irgendwie scheint auch jeder hier mal den Status eines »hypocrite« erlangt zu haben: Premierministerin Julia Gillard, Oppositionsführer Tony Abbott, Julian Assange, Australiens reichste Frau Gina Rinehart, Mahatma Gandhi, die katholische Kirche, Jamie Oliver, AFL Player Leigh Matthews und so weiter und so fort. Es scheint, als wäre dies geradezu ein Modewort. Dabei ist »hypocrite« in der australischen Alltagssprache doch eigentlich nichts anderes, als eine Umschreibung eines Lügners. Jemand, dem man nicht trauen kann, dem man nichts glauben darf. Das Gegenteil von einem aufrichtigen Menschen.
Was steckt also dahinter? Bei den Australiern scheint ein bisschen »hypocrisy« fast ein ganz normaler Charakterzug zu sein, den sich viele Menschen hier – ob bewusst oder unbewusst – aneignen. Dazu bin ich über einen interessanten Bericht gestolpert, als ich ein Magazin durchgeblättert habe. Der Verfasser schreibt darin (sinngemäß): »Wir Australier lieben Heuchler. Wir empfangen sie mit offenen Armen, wir entschuldigen ihr Verhalten und wir belohnen sie sogar dafür, indem wir ihnen zu Machtpositionen verhelfen.« Er stellt sich selber die Frage, warum das australische Volk die ganzen Lügen in Politik und Medien einfach so hinnimmt und beantwortet sie wie folgt: »Weil die Australier selbst den heuchlerischen Traum leben.« Sie beschweren sich über die teuren Lebenshaltungskosten, belasten aber weiterhin fleißig und ohne mit der Wimper zu zucken ihre Kreditkarte. Sie trinken selber nur fettarme Milch, stopfen ihre Kinder aber mit Chips, Cookies und Cola voll. Sie reden lauthals darüber wie gesund barfuß laufen ist, tragen aber weiterhin ihre 10 cm hohen Stilettos. Sie machen gerne Luxus-Urlaube und gehen dafür bevorzugt in Dritte Welt Länder.
So kommt mir das manchmal auch vor. Australier handeln gerne widersprüchlich. Es scheint hier einfach viel wichtiger zu sein, wie jemand dasteht und was die anderen über einen denken, ob man beliebt ist und bei jemandem punktet, als dass man ein aufrichtiger und ehrlicher Mensch ist. Da tut man doch lieber so als ob. Auch wenn eigentlich jedem klar ist, was gespielt wird. Und genau so machen’s die Politiker hier ja auch. Jetzt bleibt nur die Frage: Hat ihnen das australische Volk das abgeschaut oder war es vielleicht doch anders rum?
No worries!
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Dafür muss man aber nicht bis nach Australien gehen... Verfolgst du die Berichte im Profil, die zu 80% von "hypocrisy" in deiner alten Heimat handeln? Zugegeben wird etwas erst, wenn man hieb- und stichfest dabei ertappt wurde! Und auch dann versucht man noch vieles schönzureden. Wir leben in einer Gesellschaft, in der nun einmal mehr Schein als Sein gilt - leider.
AntwortenLöschenNatürlich, da stimme ich dir zu. Aber es ging mir eben auch darum, dass dieses Wort in Australien fast so ein Art Modewort ist, das sowohl in der Alltagssprache, als auch in den Zeitungen dauernd verwendet wird. Im Profil gibt's ja wohl keine Überschriften, wo der Bundeskanzler als Heuchler oder Lügner bezeichnet wird... Da ist man bei uns schon etwas vorsichtiger, wie man sich ausdrückt.
AntwortenLöschenLg Nina