Was ist eigentlich eine Roobar?
So nennt man den aufgesetzten Vorbau eines Autos, der zumeist aus Stahl besteht und dem Schutze dient. Die Ozzies brauchen diesen in Gegenden, in denen Mensch bzw. Auto regelmäßig auf Wildtiere bzw. Kängurus trifft. Dabei sind vor allem die ländlichen Gebiete betroffen. Wer hier lebt, braucht ein großes, hohes Geländefahrzeug mit einer so genannten »Roobar«, um sich im Falle einer Kollision mit einem Känguru selber zu schützen und das Auto vor erheblichem Schaden zu bewahren. Dem Känguru kann leider nur noch selten geholfen werden.
Ohne Roobar lässt es sich auf dem Land kaum leben, wo Unfälle mit Wildtieren äußerst häufig vorkommen. Leider gibt es in Australien sehr viele dieser Gegenden, denn wo Mensch sich wohl fühlt, fühlt sich auch das Känguru daheim. Da möchte man doch meinen, dass hier genug Platz für Wildtiere ist, Futtermangel und Trockenheit drängen diese aber in die Küstenregionen – genauer an den Rand der Straßen, wo Gras wächst und Pfützen sich mit Regenwasser füllen.
Wie oft kommt es zu Unfällen?
Offizielle Statistiken zu Verkehrsunfällen mit Kängurus gibt es nicht. Gemeldet muss ein Crash nur dann werden, wenn das Auto beschädigt ist (zu Versicherungszwecken), das Känguru noch lebt (um es einzuschläfern) oder eine Person verletzt ist. Zumeist ist das Känguru aber mausetot und das Auto dank Roobar (hoffentlich) nicht beschädigt. Viele Vorfälle werden also gar nicht erst gemeldet, weshalb es schwer ist, genaue Zahlen zu erfassen.
Es wird aber geschätzt, dass jährlich an die 200.000 Autofahrer Kängurus auf Straßen antreffen. Dabei kommt es regelmäßig zu Verkehrsunfällen. Jeden Tag soll es allein im Bundesstaat New South Wales zu 23 Zwischenfällen mit Kängurus auf Straßen kommen, was wiederum an die 6.000 tote Kängurus jährlich zur Folge hat. Eine vorhandene Studie zeigt, dass von 2001 bis 2005 insgesamt 27 Menschen zu Tode gekommen sind und weitere 2.025 in Verkehrsunfällen mit Kängurus verletzt worden sind. Die Statistik beinhaltet Daten aller Bundesstaaten, ausgeschlossen South Australia und Tasmanien.
Auch der daraus verursachte Schaden ist erheblich. Laut Versicherungen wurden im Jahr 2001 in Australien 11.000 Anträge auf Grund von Kollisionen mit Kängurus eingereicht. Diese verursachten einen Gesamtschaden in der Höhe von 21 Mio. Dollar. 2009 wurden sogar 20.000 Anträge eingereicht – davon allein 7.000 im Bundesstaat New South Wales, wo die meisten Unfälle mit Kängurus passieren.
Können Unfälle vermieden werden?
Jein. Vorsicht ist geboten in Gegenden, wo sich viele Kängurus aufhalten. Das ist also »fast überall« auf dem Land. Diese sind zumeist in der Abenddämmerung, Nachts und im Morgengrauen aktiv und in dieser Zeit passieren daher auch die meisten Unfälle. Sich als Motorradfahrer in so einer Gegend nachts fortzubewegen ist absolut lebensgefährlich. Ein ausgewachsenes Rotes Känguru kann 1,8 m groß werden und an die 90 kg wiegen. Auf gut ausgebauten Landstraßen wird durchschnittlich 100 km/h gefahren. Den Rest kann man sich denken.
Es ist also immer ratsam, die Schilder »Achtung Kängurus« ernst zu nehmen. Als Tourist denkt man erstmals immer: »Oh! Hier gibt es Kängurus und vielleicht sehen wir Kängurus, juhu!« Man sollte aber besser denken: »Vorsicht, wenn dir dieses Tier vors Auto springt, könntest du tot sein.« Und sie springen leider nur all zu gerne vors Auto ... Weiters kann man sich auch an den Autos der Ortsansässigen orientieren: Fährt jeder ein großes Geländefahrzeug mit Roobar? Und an der Anzahl an toten Kängurus am Straßenrand. Je mehr, desto gefährlicher und desto wachsamer sollte man sein.
Aus eigener Erfahrung kann ich aber sagen, dass ein Crash bei aller Vorsicht leider nicht immer vermieden werden kann. Als uns in der Abenddämmerung bei ca. 90 km/h ein Känguru vors Auto sprang, hatten wir keine Chance auszuweichen oder zu bremsen. Das war nicht etwa in einer Kurve, die Straße war flach und gerade. Wir hatten zwar das Schild gesehen, aber weder tote noch lebendige Kängurus gesichtet. Autos waren kaum welche unterwegs. Geschwindigkeitsbegrenzung war 110 km/h. Am Rand der Straße war Buschwerk. Wir hatten drei Augenpaare auf die Straße gerichtet und sind fast in der Mitte gefahren um einen besseren Überblick behalten zu können. Zwei schnelle Sätze und das Känguru war da. Genau links vorne ins Auto. Stoßstange, Kotflügel, Licht und Blinker kaputt, Windschutzscheibe zersplittert, Spiegel weg gerissen, beide Seitentüren verbeult. Fazit: Känguru tot, Auto kaputt, Insassen geschockt, aber unverletzt.
Und wie gehen die Australier damit um?
Die Australier haben zwar das Känguru als ihr Nationaltier auf dem Wappen, ganz so lieb haben sie es dann aber doch nicht. Das ist ja nur für die Touristen. Es wird mit Kängurufell gehandelt, Kängurufleisch gegessen und sie werden u.a. auch sportshalber gejagt und abgeschossen. In den Bundesstaaten Western Australia und South Australia ist es sogar erlaubt, diese im Nationalpark abzuschießen. Zumeist haben die Aussies die Geschichte über unseren Unfall folgendermaßen kommentiert: »Macht euch um das Känguru keine Gedanken – von denen gibt es mehr als genug. Eines mehr oder weniger macht da keinen Unterschied!« Wir haben aber auch gehässigere Kommentare gehört, wie dass man sie am besten sowieso alle gleich abknallen sollte. Sind ja eh nur eine Plage, verursachen jedes Jahr zig Unfälle und Schaden in Millionenhöhe.
Es soll anscheinend immer mehr Kampagnen geben, in denen Autofahrer auf die Gefahr aufmerksam gemacht werden und ihre Geschwindigkeit in gefährdeten Gebieten drosseln sollen. Gesehen habe ich davon bis jetzt aber noch nichts. Wesentlich effektiver wären wahrscheinlich gesetzte Geschwindigkeitsbegrenzungen und Wildschutzzäune wie man sie aus Europa kennt. Das kann oder will man hier aus Kostengründen aber nicht realisieren.
Andererseits muss man auch die Lebenssituation vieler Australier verstehen, um deren Einstellung nachvollziehen zu können. Was würdet ihr tun, wenn ihr in einem Dorf auf dem Land lebt und eine Stunde oder länger mit dem Auto zur nächsten Stadt fahren müsst (bei 110 km/h), um euch versorgen zu können? Würdet ihr langsamer fahren und dafür doppelt so lange unterwegs sein? Oder würdet ihr lieber ein großes Auto mit Roobar kaufen und euch nicht so viele Gedanken um die armen Kängurus machen?
No worries!
FOTO: NICOLÒ BONAZZI (FLICKR)