Laut einer Statistik aus dem Jahre 2011 leben heute etwa 670.000 Aborigines in Australien, das entspricht ca. 3% der Gesamtbevölkerung. Im dünn besiedelten Northern Territory gehören knapp 30% der indigenen Bevölkerung an. Prozentual gesehen ist der Großteil der Aborigines jedoch in den Bundesstaaten New South Wales und Queensland angesiedelt.
Traditionen, Rituale und Bräuche sind vielfach verloren gegangen oder werden nur noch in abgelegenen Regionen, wie dem Northern Territory, praktiziert. Heute gehören 73% der Aborigines einer christlichen Konfession an. Trotz dieser Tatsache fühlen sich viele ihrem angestammten Land auf tiefe Weise verbunden und wollen nach ihrem Tod auch dort bestattet werden. Bei den meisten Stämmen ist es üblich, dass nach dem Tod nichts mehr von dem Verstorbenen weiter existieren darf, d.h. Kleidungsstücke und Wertgegenstände müssen vernichtet werden. Aus diesem Grund lassen sich traditionelle Aborigines nicht gerne fotografieren.
Probleme und Missstände
Die australischen Ureinwohner haben im Durchschnitt eine um elf Jahre niedrigere Lebenserwartung als die weiße Bevölkerung, gleichzeitig herrscht eine hohe Kindersterblichkeit. Viele Aborigines leben in sehr abgeschiedenen Gebieten und haben deshalb schlechten Zugang zu Bildung und Beschäftigung. Die Arbeitslosenrate ist drei Mal so hoch wie im Rest der Bevölkerung. Die Wohnsituation der Aborigines ist zumeist beengend, in manchen communities leben durchschnittlich 5,3 Personen in einem Haushalt (der australische Durchschnitt liegt bei 2,6 Personen). Auch Gesundheitsprobleme, die auf mangelnde Hygiene zurückzuführen sind, kommen bei den Aborigines häufiger vor, als bei der weißen Bevölkerung. Dazu zählen vor allem Fettleibigkeit aufgrund falscher Ernährung, Nierenleiden und Mittelohrentzündungen bei Kindern, die nicht selten zu einer lebenslangen Schwerhörigkeit führen können. Auch Drogen-, Alkoholmissbrauch und Gewalt in den Familienverbänden sind ein weit verbreitetes Problem, von dem die indigene Bevölkerung stark betroffen ist.
Der Alkohol und seine Auswirkungen
Die Ureinwohner, deren Organismus nicht an den Alkohol gewöhnt ist, können mit der Droge der Weißen nur schlecht umgehen. Durch die Alkoholprobleme innerhalb der communities wird auch Gewalt in der Familie immer häufiger. Aus einem Report von 2007, »Little Children Are Sacred«, geht hervor, dass Frauen und Kinder unter brutaler häuslicher Gewalt leiden – sowohl Misshandlungen als auch sexueller Missbrauch sind keine Seltenheit. 2008 ergaben ähnliche Befragungen, dass rund ein Viertel der indigenen Bevölkerung Opfer von Gewalt oder Gewaltandrohungen ist. Fast ein Drittel der Aborigines gaben weiters an, unter Depressionen zu leiden. Im Allgemeinen sind Aborigines 5 bis 6-mal häufiger Opfer von Gewalt, als der Rest der australischen Bevölkerung, Kinder sind sogar 7-mal häufiger von Gewalt betroffen.
Die australische Regierung unter Premierminister John Howard reagierte prompt mit drastischen Maßnahmen auf die schockierenden Berichte: Im Northern Territory wurde ein Verbot von Alkohol und Pornografie ausgerufen, Zwangsuntersuchungen für Kinder wurden eingeführt, die Polizeipräsenz in den communities verstärkt und ein Teil der Sozialhilfe in Lebensmittelgutscheine umgewandelt. Bis heute gibt es Kontroversen über diese Zwangsmaßnahmen – manche meinen, dass die Regierung viel zu lange weg geschaut hätte und noch viel früher eingreifen hätte müssen, andere lehnen diese Art der Bevormundung vehement ab. 2008 hat sich die Regierung unter Premierminister Kevin Rudd offiziell dazu verpflichtet, sich für die Chancengleichheit der indigenen Bevölkerung einzusetzen. Die Ziele der Kampagne »Closing The Gap« sind klar formuliert: Alle Missstände und Benachteiligungen die die indigene Bevölkerung in Australien betreffen, sollen innerhalb einer Generation bis zum Jahre 2031 beseitigt werden. Die soziale und medizinische Versorgung soll verbessert und der Zugang zu Bildung erleichtert werden.
Grundlegend unterschiedliche Rechtssysteme
Ein weiteres Problem in den communities der Aborigines ist der Umgang mit dem australischen Recht. Viele Stämme halten nach wie vor gerne an ihrem traditionellen Recht fest, dieses funktioniert jedoch grundlegend anders als das westliche Rechtssystem. Offiziell unterliegt die indigene Bevölkerung zwar auch dem australischen Gesetzbuch, inoffiziell sieht es in der Praxis aber oft noch anders aus. Nach dem traditionellen Rechtssystem der Aborigines wird eine Verurteilung immer einer körperlichen Bestrafung gleich gesetzt. Dies kann in einem schlimmen Fall schwere Körperverletzungen, eine Vergewaltigung oder sogar Hinrichtung bedeuten. Viele Sitten und Bräuche der Aborigines verstoßen gegen Menschenrechte und werden deshalb auch international stark kritisiert. Betritt z.B. eine Frau eine heilige Stätte, an der sich nur Männer aufhalten dürfen, so muss sie mit der Todesstrafe rechnen. Mädchen werden nach dem Einsetzen der Menstruation von ihren Vätern zwangsverheiratet. Diese Tatsachen stellen ein großes Hindernis für die Aborigines dar, um in Australien Chancengleichheit zu erreichen, da sie dafür ihr altes Recht endgültig ablegen müssten.
Veränderung
Nur durch die Bereitwilligkeit zur Veränderung, haben die Aborigines eine Zukunft in der australischen Gesellschaft. Ebenso sieht es mit der Chancengleichheit aus, denn nur wenn sie bereit sind, gewisse Traditionen und Bräuche hinter sich zu lassen – dies betrifft in erster Linie das traditionelle Recht – können sie voll integriert werden. Dave Price, der ursprünglich aus England stammt, lebt mit seiner Aborigine-Frau Bess Price, die als politische Aktivistin in Australien bekannt ist, im Northern Territory und formuliert das so: »Wenn es keine Veränderungen gibt, wird es keine Lösungen geben und es wird keine Zukunft geben. Die Weißen werden Australien nicht verlassen, und die Aborigines wollen das auch gar nicht. Sie sind viel zu scharf auf die vielen Dinge, die wir mitgebracht haben. Nur nach unserem Gesetz wollen sie nicht leben.« Die indigene Bevölkerung muss sich öffnen und zulassen, dass über ihre Traditionen und ihr Recht diskutiert wird. Gleichzeitig muss ihnen die weiße Bevölkerung mit mehr Respekt und Verständnis begegnen. Viele Aborigines fühlen sich jedoch zwischen zwei Welten gefangen: Die Alte ist zusammen gebrochen und die Neue ist ihnen fremd. Auch die sozialen Strukturen sind nicht mehr intakt, die Ältesten, die das ganze Wissen haben, sterben, ohne dieses weiter gegeben zu haben. Die hohe Arbeitslosigkeit zusammen mit einer geringen Wertschätzung von Bildung verstärkt dieses Bild der Hoffnungslosigkeit.
Tradtitionelles Leben mit Sozialhilfe
Viele Aborigines sehnen sich wieder nach ihrem ursprünglichen Leben in Einklang mit der Natur. Seit den 80er Jahren gibt es immer mehr communities, die sich auf ihre zurück erhaltenen Landgebiete, die wie Reservate angelegt sind – teils der Öffentlichkeit zugänglich, teils nicht – zurückziehen. Sie leben dort in Eigenverantwortung fernab der westlichen Zivilisation, wo sie ihre alten Traditionen wieder neu aufleben lassen können. Viele communities haben auch den Schritt getan, ihre homelands zu alkoholfreien Zonen zu erklären. Der Staat muss jedoch für die Grundversorgung – Infrastruktur, Häuser, Strom, Schulen, Tankstellen, Krankenstationen etc. – aufkommen, denn auf moderne Errungenschaften wie Autos, Mobiltelefone und Internet möchten auch sie nicht mehr verzichten. Dies sorgt für Unmut in der australischen Bevölkerung, denn viele communities, die sich auf ihre homelands zurückgezogen haben, leben nach wie vor ausschließlich von Sozialhilfe. Sie führen zwar ein zufriedenes Leben in der Abgeschiedenheit, ein finanzielles Einkommen lässt sich in diesen Gebieten jedoch nur schwer erwirtschaften.
No worries!
Tourismus als Chance
Viele communities sehen den Tourismus als Chance auf ein Einkommen und mehr Eigenständigkeit: Er ermöglicht es ihnen, ein traditionelles Leben auf ihrem eigenen Land zu führen und gleichzeitig mehr Verständnis für ihre Kultur zu wecken. Er bringt sie jedoch auch in einen Zwiespalt, denn hierfür müssen sie sowohl einen Teil ihrer Traditionen und Rituale, von denen viele streng geheim sind, offen legen, als auch heilige Plätze zugänglich machen, die aus traditioneller Sichtweise von Fremden nicht betreten werden dürfen. Nicht anders verhält es sich mit dem berühmten Felsen Uluru, der ebenfalls eine heilige Stätte der Aborigines darstellt. Das Besteigen des Berges führt daher immer wieder zu Auseinandersetzungen mit den ansässigen Aborigines. Der Tourismus ist also in vielerlei Hinsicht ein Kompromiss zwischen Tradition und Moderne, vielleicht auch eine Art Überleitung von einer alten in eine neue Welt.
Die Informationen zum zweiten Teil dieses Berichts stammen aus dem Buch »Aborigines gestern und heute« von Sabine und Burkhard Koch. Im ersten Teil ging es um Kultur und Geschichte der Aborigines.
Die Informationen zum zweiten Teil dieses Berichts stammen aus dem Buch »Aborigines gestern und heute« von Sabine und Burkhard Koch. Im ersten Teil ging es um Kultur und Geschichte der Aborigines.
FOTO: APRIL PYLE/AI (FLICKR)
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