Wir alle kennen das Gefühl. Heimweh gehört zum Auswandern genauso dazu, wie die schwierige Entscheidung, wie man bloß all sein Hab und Gut in einen Koffer packt. Auch ich hatte in meiner ersten Zeit in Australien sehr viel Heimweh. Erst als ich nach eineinhalb Jahren das erste Mal wieder auf Besuch in Österreich war, habe ich festgestellt, dass es doch einiges gibt, was ich am Leben in Australien sehr zu schätzen weiß. Danach ging es etwas besser. Heute kommt das Heimweh in Wellen, aber nicht mehr ganz so regelmäßig. Am schlimmsten ist es, wenn ich gerade von einem Heimaturlaub zurück nach Australien komme. Umgekehrt fühle ich mich in Australien am wohlsten, wenn ich weiß, dass ich bald wieder Urlaub in der Heimat mache (und ertappe mich dabei, wie ich mir im letzten Moment denke, eigentlich will ich gar nicht heim, ist doch grade so schön hier).
Ich habe hier in aller Ausführlichkeit aufgeschrieben, was mir im Laufe der Zeit gegen Heimweh geholfen hat bzw. mir immer noch hilft. Vielleicht sind für den einen oder anderen Auswanderer unter euch ein paar Tipps dabei.
Gleich zu Beginn habe ich mir verschiedene Sportclubs heraus gesucht und bin Mitglied in einem Volleyballverein geworden. Einerseits ist es gut, wenn man raus kommt und sich sportlich betätigt, andererseits hat es mir auch geholfen, neue Leute kennen zu lernen. Vor allem hat es mich aber unabhängiger gemacht. Ich bin ein sehr aktiver Mensch und hatte zu Beginn nur meinen Mann, mit dem ich Sachen unternehmen konnte. Diese Abhängigkeit hat mich sehr eingeschränkt. Gerade im Volleyballverein habe ich viele andere Auswanderer kennen gelernt und eine dieser Bekanntschaften hat sich sogar zu einer bis heute andauernden Freundschaft entwickelt.
Sich eine neue Herausforderung suchen. Ich bin ein Mensch, der keine Veränderungen mag. Am liebsten ist es mir, wenn alles so bleibt, wie es ist. Daher werfen mich einschneidende Erlebnisse – wie z.B. nach Australien auszuwandern – leicht aus der Bahn. Ich fühle mich am wohlsten, wenn ich eine Routine habe und es fiel mir anfangs sehr schwer, loszulassen und mich auf etwas Neues einzulassen. Irgendwann zwischen »ich weiß nicht, was ich mit mir anfangen soll« und »ich weiß gar nicht mehr, wer ich eigentlich bin und was ich will«, habe ich den Entschluss gefasst, Surfen zu lernen. Einfach mal so. Und nicht aufzugeben, bis ich (halbwegs) gut darin bin. Das war meine große Herausforderung und es hat mir geholfen, mich auf die wesentlichen Dinge zu fokussieren. Das mache ich auch heute noch so. Wenn ich wieder mal alles in Frage stelle, dann konzentriere ich mich gedanklich (und wenn es geht auch aktiv) einfach aufs Surfen. Gleichzeitig hat es mir das Land und die Leute ein Stück näher gebracht und als Bonus habe ich dadurch auch einige nette Australier kennen gelernt. Deshalb: Geh raus und such dir deine eigene Herausforderung, jeder hat Träume und braucht Ziele!
Den regelmäßigen Kontakt mit den Liebsten daheim erhalten. Einerseits gibt es im digitalen Zeitalter genug Möglichkeiten, in Kontakt zu bleiben, egal wo auf der Welt man sich gerade befindet, andererseits kann die Kommunikation übers Internet aber keine menschlichen Kontakte ersetzen. Die Zeitverschiebung macht es auch nicht unbedingt leichter. Ich habe den Fehler gemacht, mich viel zu schnell abzukoppeln und hatte lange Zeit keinen regelmäßigen Kontakt mit Freunden und Familie daheim. Irgendwann habe ich aber gemerkt, dass das notwendig ist und man auch seine »digitalen« Freundschaften pflegen muss, wenn man den Anschluss nicht verlieren will. Heute achte ich bewusster darauf, in Kontakt zu bleiben. Es tut einfach wahnsinnig gut, wenn man zwischendurch ein Foto oder eine liebe Nachricht von einem guten Freund geschickt bekommt. Es gibt einem das Gefühl, immer noch Teil von dessen Leben zu sein.
Traditionen aufrecht erhalten. In Maßen. Mein erstes Weihnachten in Australien habe ich bewusst ausgelassen. Ich habe mir damals gedacht: Wieso feiern? Weit weg von der Familie, kein Schnee weit und breit, stattdessen Hitze, nicht mal ein richtiger Baum, zu warm für Weihnachtskekse ... Mein Mann hat es generell nicht so mit Traditionen, aber als er gemerkt hat, wie unglücklich mich das machte – Weihnachten auszulassen – hat er spontan einen Baum aufgestellt. Ja, er war aus Plastik und mickrig obendrein. Aber die Geste hat mir bewusst gemacht, dass Traditionen wichtig sind und nur weil man in ein anderes Land zieht, sollte man nicht einfach alles, was bis dahin Bedeutung hatte, über Bord werfen. Es ist okay, seine Traditionen mitzunehmen. Aus diesem Grund habe ich an meinem zweiten Weihnachten in Australien wie verrückt Kekse gebacken, Glühwein gekocht, Weihnachtslieder gehört, einen Baum gekauft und sogar einen Adventskalender gebastelt. Ganz so übertrieben muss man sich aber auf nicht an Traditionen klammern. (Ich habe ziemlich schnell fest gestellt, dass Weihnachten im Sommer und Let It Snow nicht so ganz zusammen passen.) Noch besser ist also, wenn man anfängt, neue Traditionen anzunehmen und gleichzeitig alte zu behalten und mit anderen zu teilen. Man hat dann sozusagen das Beste von beiden Welten.
Deutsche Gerichte kochen. Das Essen habe ich von Anfang an sehr vermisst. Es gab eine ganze Liste an Dingen, ohne die ich nicht leben konnte. Diese Liste gibt es zwar noch immer, aber sie ist mittlerweile um einiges kürzer. Damals bin ich ganz Sydney abgefahren, um irgendwo geräucherten Speck und »richtigen« Schnaps zu finden, bin regelmäßig zum deutschen Metzger und zum deutschen Bäcker, habe die Rezepte von meiner Mama nachgekocht, selber Knödel geformt, Spätzle gemacht, ja ich war nahe dran, selber Brot zu backen. Damals hat mir das sehr über das Heimweh hinweg geholfen, heute sehe ich das Ganze etwas lockerer. Mit der Zeit wird man erfinderisch und passt sich an, geht Kompromisse ein und entdeckt neue Vorlieben. Dafür freut man sich dann um so mehr auf Mamas Küche beim nächsten Besuch in der Heimat.
Sich mit anderen Auswanderern austauschen. Geteiltes Leid ist halbes Leid, so sagt man. Und es stimmt tatsächlich. Als frisch gebackener Auswanderer trifft man sich am besten mit anderen frisch gebackenen Auswanderern. Man kann sich über Erfahrungen und erste Eindrücke in der neuen Heimat austauschen und stellt oft fest, selbst wenn man nicht viel gemeinsam hat, hat man doch mehr gemeinsam als man denkt: und zwar die selben Wurzeln. Um seine Erlebnisse zu verarbeiten, ist es also unabdingbar, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Ich finde es immer wieder spannend, neue Leute kennenzulernen, die ebenfalls den Schritt gewagt haben, in ein anderes Land auszuwandern. Ich möchte diese Erfahrung auf keinen Fall missen. Der einzige Nachteil: Man lernt leider auch sehr viele Leute kennen und schätzen, die dann plötzlich wieder weg sind (weil in die Heimat zurück gekehrt).
Sich ein Zuhause schaffen, indem man sich wohl fühlt. Viel zu lange habe ich nach dem Motto gelebt: Ich weiß ja nicht, wie lange ich in Australien bleiben werde, also kaufe ich mir am besten gar nichts. Das hat auch dazu geführt, dass ich mich ein Jahr lang geweigert habe, unsere Wohnung zu dekorieren. Ich wollte einfach kein Herzblut (oder Geld) in irgendetwas stecken, dass ich dann vielleicht wieder zurücklassen muss. Unter diesen Umständen ein neues Leben zu beginnen, ist jedoch gar nicht so einfach. Man muss schon dazu bereit sein, ein bisschen zu investieren, um sich ein neues Zuhause zu schaffen. Immer zwischen zwei Stühlen zu sitzen, macht auf Dauer unglücklich.
Beratung oder Therapie in Anspruch nehmen. Manchmal kann das Gefühl von Heimweh die Oberhand ergreifen und vereinnahmt das ganze Leben. Man fühlt sich verloren, entwurzelt, weiß nicht mehr, was man will – doch wieder zurück oder hier bleiben – vermisst das, was man zurück gelassen hat und gleichzeitig wird man das Gefühl nicht los, dass man nicht mehr zurück kann. Ich weiß, wie verwirrend diese Gefühle sein können. Oft hilft es schon, über seine Erlebnisse zu sprechen, um diese zu verarbeiten. Was aber tun, wenn der Partner »die immer selbe Leier« schon nicht mehr hören kann, man seine Familie und Freunde daheim nicht belasten will und sonst eigentlich niemanden in der neuen Heimat hat, mit dem man offen reden könnte? Manchmal kann es durchaus hilfreich sein, professionelle Beratung in Anspruch zu nehmen. Sich einmal alles von der Seele zu reden und dabei weder kritisiert noch beurteilt zu werden, kann für den einen oder anderen Wunder wirken.
Immer die positiven Dinge hervorheben. Was mir auch sehr geholfen hat, ist ein kleines, aber feines Tagebuch zu führen, in dem ich mich auf die positiven Dinge konzentrierte – ein so genannten Glückstagebuch. Und das geht so: Jeden Abend vor dem Schlafen gehen, nimmst du dir einen Moment Zeit und denkst über deinen Tag nach. Dann schreibst du drei gute Dinge auf, die an diesem Tag passiert sind. Dabei geht es darum, bewusst die positiven Dinge im Leben wahrzunehmen und den Alltag schätzen zu lernen. Denn auch an (schlechten) Tagen, an denen man Heimweh hat, können gute Dinge passieren – wenn dich z.B. gerade dann ein guter Freund nach deinem Befinden fragt. Wenn man sich rückblickend anschaut, was im Tagebuch geschrieben steht, bekommt man auch ein besseres Gefühl dafür, was einen eigentlich glücklich macht. Das können schon ganz banale Dinge sein, wie z.B. ein guter Kaffee am Morgen. So lernt man, sich selbst über Kleinigkeiten zu freuen. Unbedingt ausprobieren!
Kurzfristige Ziele stecken. Wir können viel von
Beppo, dem Straßenkehrer aus Michael Endes Kindergeschichte
Momo lernen. Weise hat er festgestellt, dass es viel einfacher ist, nie an den ganzen Weg zu denken, sondern immer nur an einen Besenstrich nach dem anderen. Und wie Recht er doch hat. Als ich den Entschluss gefasst habe, nach Australien zu gehen, war vor allem der Gedanke an die Endgültigkeit meiner Entscheidung besonders furchteinflößend. Auszuwandern mit der Gewissheit, dass man nie mehr zurück kehren wird, muss ein schreckliches Gefühl sein. Auswandern »auf Probe« ist hingegen wesentlich leichter verdaulich. Es ist deshalb sehr hilfreich, sich kurzfristige Ziele zu stecken. So war der Besuch meiner Eltern, ein Jahr nachdem ich ausgewandert bin, der erste Meilenstein für mich. Als der Zeitpunkt jedoch gekommen war, habe ich mir ein neues Ziel gesteckt: Eine Reise, die ich unbedingt machen wollte. Der dritte Meilenstein war dann meine eigene Hochzeit in Australien. Egal was für kurzfristige Ziele du dir steckst, man schläft wesentlich beruhigter, wenn man bereits den nächsten Meilenstein vor Augen hat.
Spazieren gehen. Klingt komisch, hilft aber, zumindest kurzfristig. Nicht umsonst gibt es im Englischen das Sprichwort to walk it off. Was frei übersetzt so viel bedeutet wie »über etwas hinweg kommen«. Oftmals hilft es tatsächlich, einfach raus zu gehen, die Sonne zu genießen (die hier ja doch ziemlich oft scheint) und zu laufen. Mir hat es in vielen Situationen geholfen, meine Gedanken zu sortieren und mich zu entspannen. Nimm dir einfach vor, in einem schönen Park oder am Strand spazieren zu gehen und erst aufzuhören, wenn du dich besser fühlst. Manchmal dauert es zehn Minuten, manchmal drei Stunden – aber helfen tut es auf jeden Fall.
Urlaube planen (und machen). Ich habe irgendwo eine Studie gelesen, dass Menschen, die Urlaub machen, andere Länder bereisen und neue Kulturen kennenlernen, glücklicher sind. Ich denke daher, dass dies auch gegen Heimweh helfen kann. Wer reist und neue Dinge erlebt, ist abgelenkt, hat weniger Heimweh, ergo ist glücklicher. Und wenn man schon ans andere Ende der Welt auswandert, sollte man sich zumindest die Zeit nehmen, seine neue Heimat zu erforschen. Mach dir also eine Bucket List und plan schon mal deine nächste Reise. Für mich war und ist es immer noch sehr wichtig, mich auf den nächsten Urlaub freuen zu können. Auch wenn es nur ein Wochenende in Byron Bay ist. Nicht umsonst sagt man: Vorfreude ist die schönste Freude.
Sich mit der neuen Heimat bewusst auseinandersetzen. Heimweh hat man, weil man etwas zurück gelassen hat, weil einem etwas fehlt. Gleichzeitig ist man jedoch in einer neuen Umgebung, die man gerne früher oder später auch Heimat nennen möchte. Ohne loszulassen, kann man sich aber nicht für Neues öffnen. Dieser Prozess ist langwierig und mitunter schmerzhaft. Aber genauso wie es physisch unmöglich ist, von einem Ort zum anderen zu laufen, ohne den Ort des Ursprungs tatsächlich zu verlassen, kann man auch nicht in der neuen Heimat ankommen, ohne sich ein Stück weit von der alten Heimat loszulösen. Ich kann jedem, der mitten in diesem Prozess steckt, nur empfehlen, sich intensiv mit Australien auseinanderzusetzen. Geh auf die Straße, rede mit Leuten, lauf mit offenen Augen und Ohren durch die Gegend, hör australische Radiosender, lies Zeitungen, besuch lokale Veranstaltungen. Sei offen und neugierig und lerne deine neue Heimat bewusst kennen. Du wirst sicher einiges entdecken, das dir (auf den ersten Blick) nicht so sehr gefällt, aber es wird dich auch vieles überraschen. Ich habe eine ganze Weile in einem Café gejobbt und dadurch viele interessante Gespräche mit Australiern geführt. Und ich habe zu jener Zeit auch angefangen, dieses Blog zu schreiben.
No worries!